
Hilfsorganisationen und Opposition kritisieren deutsche Israel-Politik scharf

Trotz einer geplanten Luftbrücke in den Gazastreifen haben Hilfsorganisationen und die Opposition scharfe Kritik an der Israel-Politik der Bundesregierung geübt. Diese müsse "Waffenlieferungen an Israel stoppen, Kriegsverbrechen beim Namen nennen und die einseitige Parteinahme beenden", forderte am Dienstag in Berlin die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow. "Deutschland darf nicht bedingungslos an der Seite eines Staates stehen. Es steht auf dem Boden der Menschenrechte."
Kritik übte Duchrow auch an den Plänen der Bundesregierung, eine Luftbrücke für humanitäre Hilfsgüter für den Gazastreifen einrichten zu wollen. Dies sei "nicht mehr als eine symbolische Geste". Die Amnesty-Generalsekretärin fügte hinzu: "Das große Wort 'Luftbrücke' soll kaschieren, dass die Regierung weiterhin nicht das Nötige tut."
Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte die Luftbrücke am Montag angekündigt. Diese soll gemeinsam mit Jordanien eingerichtet werden, Frankreich will sich ebenfalls beteiligen. Die ersten zwei deutschen Transportflugzeuge machten sich am Dienstag auf den Weg in die Region.
Der Nahost-Referent der Hilfsorganisation Medico international, Riad Othman, nannte die geplante Hilfe aus der Luft "sowohl am humanitären Bedarf in Gaza als auch an international üblichen professionellen Standards eine Farce". Hilfsabwürfe aus der Luft seien "aus guten Gründen die absolute Ausnahme: Sie sind ungenau, sie sind teuer, sie sind zu langsam". Zudem seien sie in einem so dicht bevölkerten Gebiet wie dem Gazastreifen für die Menschen am Boden mitunter lebensgefährlich.
"Alles, was das kaum mit Worten zu beschreibende Leid der hungernden Menschen in Gaza lindert, ist erst einmal richtig", erklärte Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger zu der Hilfe aus der Luft. Sie sei jedoch "nur ein kleiner Tropfen auf die lodernde humanitäre Vollkatastrophe und reicht in keiner Weise aus".
Brugger betonte: "Sie ist ineffizient, riskant, schwer zu kontrollieren und kein Ersatz für echten Druck auf die israelische Regierung." Für die Bundesregierung müssten ein Waffenstillstand im Gazastreifen und ausreichend Hilfe durch die Vereinten Nationen auf dem Landweg "absolute Priorität" haben. Die Grünen-Politikerin forderte dazu "ein entschlossenes Signal" an Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Christine Binzel, Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Ostens an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, warf der Bundesregierung vor, "trotz gravierender Völkerrechtsverbrechen" bis heute Israel zu unterstützen. Sie verhindere zudem auf EU- und internationaler Ebene Maßnahmen gegen Israel. "Damit verstößt die deutsche Politik nicht nur gegen internationales Recht, sondern auch gegen die deutsche Verfassung", erklärte Binzel anlässlich einer Pressekonferenz mit Amnesty und Medico.
Auch ein Großteil der Deutschen fordert, dass die Bundesrepublik wegen der Lage im Gazastreifen mehr Druck auf Israel ausüben sollte. In einer am Dienstag für den "Stern" veröffentlichten Umfrage äußerten sich 74 Prozent so. 22 Prozent waren nicht dieser Ansicht, vier Prozent machten keine Angaben.
"Die humanitäre Versorgung der Menschen in Gaza muss oberste Priorität haben", betonte ebenfalls der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck. Die DIG begrüße deshalb die Beiteilung Deutschlands an der Luftbrücke. Beck warnte allerdings vor "antiisrealischen Forderungen" wie jener nach einem Stop von Rüstungsexporten.
Knapp 22 Monate nach Beginn des Gazakriegs ist die humanitäre Lage im Gazastreifen verheerend. Mehr als hundert Hilfsorganisationen warnten kürzlich vor einem "massenhaften Verhungern". Auch die Kritik am Vorgehen Israels wird immer schärfer: Am Montag warfen zwei israelische Menschenrechtsorganisationen - B'Tselem und Ärzte für Menschenrechte Israel - der Regierung einen "Genozid" an den Palästinensern vor.
Der Gazakrieg war durch den Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Als Reaktion auf den Angriff geht Israel seither massiv militärisch in dem Küstenstreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden, die sich nicht unabhängig bestätigen lassen, bislang mehr als 59.800 Menschen getötet.
G.Perrin--PS